Vulkan und Schmetterling - ВУЛКАН И БАБОЧКА |
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Vulkan und Schmetterling | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Vulkan und Schmetterling, Matussek Matthias Klaus Kinski war der Expressionist des deutschen Kinos, eitel, größenwahnsinnig, verletzlich. Jetzt ist sein Nachlass in Buchform erschienen. Gleich zwei runde Jubiläen liegen ja nun in Reichweite, um an Klaus Kinski zu erinnern, diesen zartesten aller Berserker, diesen Dadakünstler der Selbstvermarktung. Da wäre der 85. Geburtstag jetzt im Oktober, im November dann der 20. Todestag, und sofort fällt uns schmerzlich auf, wie sehr unseren Tagen alles Kinski-hafte, also poetisch Maßlose, abgeht. Kinski würde übrigens, wenn er könnte, diese Erinnerungstage boykottieren oder korrigieren oder, noch besser, neu erfinden. Er würde alles sowieso ganz anders erzählen: Sicherlich, er wurde in diese Welt hineingeboren wie alle anderen aus dem Jahrgang 1926, hinein in die Stummfilmjahre, die Weltuntergangsjahre, die schwarzweißen Wahnsinnsjahre, aber im Unterschied zu den anderen würde er den augenrollenden Expressionismus dieser Zeit nie vergessen lassen, weil er davon seine ganze spätere Fast-Weltkarriere lang lebte. Im Übrigen, was heißt schon Geburt, wenn man doch genauso gut von einem Vulkanausbruch reden könnte. Dass er wiederum vor 20 Jahren sanft und ohne jeden Kampf entschlief, fällt dann auch schon wieder aus der Reihe. Es gibt diesen Filmschnipsel, in dem er mit einem Schmetterling spielt. Der entfaltet seine Flügel auf Kinskis Nase, seinem Finger, seinen Ohren, und dann schaukelt er davon in den Himmel wie eine Kinderseele, auch das wäre eine Erinnerung. Ein Leben also zwischen Vulkanausbruch und Schmetterlingsschlag: "Kinski. Vermächtnis" heißt nun ein Buch, das seinen Nachlass präsentiert, ein Konvolut aus Erzählungen und Fotos, Gedichten, Briefen und Lügen der hochfahrenden und poetischen und verzweifelten Sorte, und hinten drauf ein Zettel des Krematoriums, "Valley Memorial Park, Novato, California, Dec. 3, 1991". Ein Zettel, der so aussieht, als gehörte er zu der chinablauen Keramikurne, in der die Angehörigen seine sterblichen Überreste in einer kleinen Zeremonie der See übergeben hatten, auch davon gibt es wunderschöne Fotos: seine dritte Frau Minhoi, sein Sohn Nikolai und Werner Herzog, der Asche streut. "Dieses Buch beinhaltet keinen Lebenslauf und kein Werkverzeichnis" steht auf dem hinteren Einband. "Es zeigt auch nur fünf Filmbilder. Dafür gibt es einiges zu entdecken, vielleicht sogar Klaus Kinski." Wir dürfen also diesen Kinski freischaufeln, diese überraschend zarte, beseelte Künstlernatur. Es ist Kluges dabei und Triviales, Spektakuläres und spektakulär Erfundenes. Dann steht dieser Mensch da, bedürftig und prächtig und obszön wie eine Chiffre für Qual und die Sehnsucht nach dem ganz anderen Leben. "Was ich über Kinski gehört habe" heißt die Ouvertüre dieses Memorabilia-Klotzes. Der Autor und Herausgeber (und Kinski-Nachlassverwalter) Peter Geyer hat einen Zitatengarten angelegt, besser: einen Zitatenschungel, ein einziges großes Feuilletongeraschel: wie die "Vogue" berichtet habe, dass Kinski, wenn er sich langweile, mit geschlossenen Augen und Tempo 180 über italienische Autobahnen jage. Wie der Theaterregisseur Peter Zadek in der "Bild" schrieb, dass Kinski in seiner Bearbeitung von "Romeo und Julia" die Julia gestrichen habe. Wie der Regisseur Will Tremper behauptet habe, dass Kinski einmal nur weiterspielen wollte, wenn ihm eine Dame aus dem Publikum einen blase: "Er soll sie sich selber ausgesucht, sie nicht lange gezögert und mit arroganter Miene gelutscht haben." Und dass schon 1948 in der "Berliner Palette" stand, dass "viel Falsches über diesen jungen Nachwuchsschauspieler gesagt und geschrieben worden" sei. Daran übrigens war Kinski überaus interessiert. Sein Nachlass belegt, wie er bereits in den späten vierziger Jahren das erste große Guerilla-Marketing betrieben hatte. Nicht nur sammelte und vervielfältigte er positive Kritiken, er hat sie, wenn es sein musste, auch selber geschrieben. Er wollte berühmt werden. Er wollte es mehr als alles andere. Seine Kindheit und Jugend als Sohn des Apothekers Bruno Nakszyński schilderte er in buntesten Farben in seiner Autobiografie "Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund": die vermeintlichen Entbehrungsjahre als Laufbursche und Leichenwäscher in Berlin (er war ganz normaler Gymnasiast), als Liebhaber schon mit 8 (er war schüchtern noch als 20-Jähriger), später dann als Fallschirmjäger im Kriegsdreck, schließlich briti-sche Gefangenschaft, großes Maul schon immer, Theater schon im Lager. Nach dem Krieg ist Klaus Kinski einer der zerlumpten jungen Elternlosen, er hat den Drang zur Bühne, er gilt als nicht ensemblefähig, doch er fällt auf. "Neurotiker mit einem Fanatikerkopf". Für Cocteaus Monolog "La voix humaine" verwandelt er sich in eine gebrochene ältere Frau, die mit ihrem Liebhaber telefoniert. Die Rezension übernimmt er selber, es wird ein Juwel an narzisstischer Ich-Durchdringung, kongenial fiebernd schreibt er über sich in der dritten Person: "So hatte er alles Störende abgelegt und war frei geworden für die Nacktheit der Seele und des Leibes." Oft geht Kinski für seine Rollenerkundungen in Klausur, wochenlang meidet er Menschen, bis er wund ist, sensibel und reizbar. Die vielgescholtenen fünfziger Jahre: Kinski plant "Romeo und Julia" in Berlin-Kreuzberg, er braucht "300 absolut südländisch aussehende Menschen". Er schreibt Hunger- und Bettelbriefe. Er beschwört seine erste, bereits geschiedene Frau, die eine Art Mutter bleibt: "Sie wollen mir den Vertrag nicht geben! Jetzt bin ich verloren! Ich habe auch nicht mehr genug Geld! Ich habe Angst Angst!!!!!!! Was habe ich denn so Schlimmes getan??????? Gehe zu dem Müller! Zu dem Verwaltungsdirektor am Residenztheater! Bitte! Gehe zu ihm! Rette mich! Sag ihm, dass ich nicht schlecht bin!" So fleht er und bleibt ihr trotzdem die Alimente schuldig, weil er Autos zu Schrott fahren und sich ansonsten auf einen höheren Auftrag konzentrieren muss: "Denn ich bin der Messias, der dem Theater seinen heiligen Sinn zurückge-ben wird!" Und tatsächlich wollen die Großen mit ihm arbeiten, Kortner, auch Brecht, aber dem gibt er einen Korb. Ab den späten Fünfzigern ist Kinski eine Mischung aus Kunst und Circus Krone, eine Art Entfesselungskünstler der Poesie, der Rezitator als Superstar. Wer hätte je 70 000 auf dem Wiener Heldenplatz versammelt für einen Vortrag von Brecht-Gedichten? Er ist eine poetische Jahrmarktattraktion mit stahlblauem Blick und wirren Haaren, das Kino will ihn. David Lean besetzt ihn in "Doktor Schiwago", Sergio Leone in "Für ein paar Dollar mehr", er ist nun oben und lässt alle abfahren: Fellini, Pasolini, Visconti, Ken Russell. Und dann ist es ganz still. Er ist ständig pleite und ständig im Rolls-Royce unterwegs, was für ein wunderbares Foto mit Frau und Tochter Nastassja vor einem Silver Shadow in Rom. Anfang der Siebziger geht er noch einmal auf Größenwahn-Tournee, für angeblich eine Million Mark und hundert Vorstellungen soll er "Jesus Christus Erlöser" sein. Er absolviert zwei. Es wird die berühmteste seiner gescheiterten Unternehmungen. Das Publikum ist mittlerweile der Gegner, er allein nimmt es mit 3000 auf in der Deutschlandhalle, er deklamiert, er schreit in die Zwischenrufe hinein: "Zuerst entferne den Balken aus deinem Auge, und dann sieh zu, wie du den Splitter aus meinem Auge ziehst." Er nimmt die Jesusworte zur Selbstverteidigung, die Evangelien zur Waffe gegen alles, was ihm gerade nicht passt, da tritt plötzlich ein schnauzbärtiger Lehrertyp neben ihn ins Scheinwerferlicht, hält das Mikrofon, so war das damals, Mitspieltheater, jeder wollte mal was sagen, und irgendwann gelingt es ihm, er fränkelt "Leude, ich bin kein großä Rednä", aber dieser Kinski, fährt er fort, sei nicht Jesus, denn Jesus wäre duldsam und hätte nie gesagt "Halt deine Schnauze", wenn ihm einer widersprach. Kinski lässt ihn ausreden. Doch dann schreit er auf. Nein, brüllt der maßlose Vortragskünstler Kinski, Schaumfetzen vor dem Mund: "Er hat nicht gesagt ,Halt die Schnauze', er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen!" Und ruft dem Störer hinterher: "Das hat er gemacht! Du dumme Sau!" Das war natürlich nicht jesuanisch, aber wunderbar ehrlich. Und dass diese Schafsfelljackenspießer da unten im Publikum auch noch die Frechheit besaßen, von Kinski eine Entschuldigung zu fordern, weil er sich im Ton vergriffen habe - das war für ihn natürlich die Rache am Talent, der Versuch, ihn zu erniedrigen, ihn zu besiegen. Einer der wenigen Regisseure, die mit Kinski umgehen konnten, war Werner Herzog, und der ertrug es dank seiner grenzenlosen Leidensfähigkeit. 1999 zahlte er es ihm heim, im Film "Mein liebster Feind" wird Herzog endlich all das los, was er Kinski eigentlich schon immer ins Gesicht sagen wollte. Dieser Nachlass aber zeigt einen tieferen, verletzlicheren, kreativeren Kinski, als es die Fama vom dröhnenden Irren bisher vermuten ließ, es zeigt einen Träumer, der Skizzen zeichnet für ein großes poetisches Projekt: Er plante den Bau eines Bootes, das "Ship under God". Seitenlang schreibt er Listen über die Materialien, die er benötigt, als würde es dadurch Wirklichkeit: Proviant, Karten, er liest nur noch Seefahrerliteratur. Er will weg. Wohin auch immer mit diesem Phantasieboot. Er hat sich ausberserkert. Die dritte Ehe ist gescheitert, seine Frau Minhoi hält ihn nicht mehr aus, sie sagt: "Er war zu viel von allem", und er schreibt ihr zärtliche Trennungsschmerz-Briefe und noch zärtlichere an den gemeinsamen Sohn Nikolai: "Du bist alles, was ich habe und will." Und: "Ich lieb dich mehr als alles im ganzen Universum." Er zieht sich zurück in die kalifornische Einsamkeit, das Buch zeigt Fotos, die er vom Wald aufnimmt, dunkle, melancholische Naturbilder, Klaus Kinski wird ruhig und müde. Die letzten Bilder des Buchs zeigen Kinskis letzte Bootsfahrt im Februar 1992, als seine Asche aufs Meer gestreut wird. Kinskis Nachlass ist, dass er fehlt: in seiner Verwundbarkeit und Maßlosigkeit und wundervollen Lächerlichkeit. |
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